Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Anwesende,
wir beraten heute eine grundlegende Neuordnung der Kulturförderung – nach über zwanzig Jahren – und das innerhalb von eineinhalb Monaten. Für eine Reform, die in Zukunft nahezu jede kulturelle Einrichtung dieser Stadt betreffen wird, ist das ein bemerkenswertes Tempo. Fast schon sportlich.
Die Zielsetzung dieser Reform – mehr Transparenz, mehr Vergleichbarkeit, klarere Kriterien – klingt zweifellos richtig. Sie klingt sogar so richtig, dass man sich fragen könnte, wer da überhaupt widersprechen wollte. Doch je genauer man hinschaut, desto sichtbarer wird die Lücke zwischen Anspruch und tatsächlichem Inhalt der Vorlage. Eine Reform, die Transparenz herstellen soll, darf nicht selbst neue Intransparenz erzeugen.
Uns wird erklärt, wir würden heute nur eine „Richtung“ vorgeben. Tatsächlich aber beschließen wir eine Struktur, deren konkrete Auswirkungen noch weitgehend unklar sind. Wenn eine Reform dieser Tragweite wirklich solide sein soll, dann müsste doch zunächst feststehen, was genau die Kriterien sind, wie die Definitionen lauten und wodurch künftig gefördert wird – und nicht umgekehrt. Stattdessen haben wir eine Struktur ohne Richtlinie. Ein Fundament, dessen Statik erst später berechnet werden soll. Man könnte sagen: Wir bauen das Dach, bevor wir wissen, ob das Haus überhaupt Wände hat.
Ein zentrales Element der Neuordnung soll eine Fachjury sein, die künftig über viele Förderentscheidungen befindet. Eine Jury kann ein gutes Instrument sein, wenn klar ist, wer darin sitzt, nach welchen Kriterien sie besetzt wird, welche Perspektiven vertreten sein müssen und wer ihre Entscheidungen am Ende kontrolliert. All diese Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. So entsteht keine Transparenz, sondern ein Verschiebebahnhof der Verantwortung: weg vom demokratisch legitimierten Gemeinderat, hin zu einem Gremium, das es noch gar nicht gibt.
Ähnlich fragwürdig ist die pauschale Grenze von 30.000 Euro. Angeblich soll sie kleinere Einrichtungen entlasten. In der Praxis führt sie jedoch dazu, dass Akteur*innen wie das Shibui-Kollektiv mit über 30.000 Euro schlicht aus dem System fallen. Das hat mit fachlicher Begründung wenig zu tun. Es wirkt eher wie eine rechnerische Grenze, die irgendwo zwischen Excel und Bauchgefühl geboren wurde. Genau deshalb schlagen wir vor, diese Grenze zu reduzieren und sie so zu bemessen, dass sie nicht zur Stolperfalle für diejenigen wird, die ohnehin am Limit arbeiten. Denn für manche ist diese Grenze zu hoch und für manche zu niedrig.
Unverständlich bleibt auch die Zusammenstellung der sogenannten „lokalspezifischen Förderung“. Dort finden sich Einrichtungen, deren Gemeinsamkeit allein darin besteht, dass sie zufällig im selben Tabellenfeld gelandet sind. Die Breisgauer Narrenzunft direkt neben der Feministischen Geschichtswerkstatt – das ist keine Systematik, das ist ein kulturpolitischer Gemischtwarenladen. Es braucht hier eine klare Differenzierung und nachvollziehbare Kriterien. Aus diesem Grund haben wir beantragt, diese Säule zunächst aus der Neukonzeption herauszunehmen, bis klar ist, was eigentlich unter diesem Begriff verstanden werden soll.
Ein weiteres Problem entsteht durch den geplanten Vierjahresrhythmus der Basisförderung. Neue Antragstellende sollen nur alle vier Jahre einsteigen können – es sei denn, der Doppelhaushalt fällt zufällig günstig. Das ist kein System der Verlässlichkeit, sondern ein System der Zufälle. Kultur aber lebt nicht von Zufällen, sondern von Kontinuität, Offenheit und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine Förderstruktur, die Türen eher schließt als öffnet, kann dem Anspruch einer lebendigen Kulturlandschaft nicht gerecht werden.
Meine Vorrednerin hat wiederholt betont, die Basisförderung solle „keine Förderung zweiter Klasse“ sein. Das ist ein richtiges Ziel. Aber wenn Gleichstellung und Dynamisierung dieser Förderung nicht jetzt festgelegt werden, sondern irgendwann später im Richtlinienprozess, dann bleibt es schlicht eine Ankündigung. Verlässlichkeit entsteht nicht durch Worte, sondern durch Beschlüsse.
Besorgniserregend ist zudem, dass in der gesamten Vorlage wenig Aussage zur Mittelausstattung der neuen Säulen getroffen wird. Ohne ausreichende Finanzierung bleiben neue Strukturen leere Hüllen. Und leere Hüllen schaffen nicht Stärke, sondern Konkurrenzdruck. Wir alle wissen: Kultur kann viel – aber sie kann nicht zaubern.
All dies führt zu unserem Kernpunkt: Diese Reform kommt zu früh. Die offenen Fragen, die selbst in den zustimmenden Reden betont wurden, sind nicht Details, sondern Grundlagen. Sie betreffen die Kulturorte, die Vielfalt, die Planungssicherheit und das Vertrauen.
Wir sind überzeugt: Eine Entscheidung dieser Bedeutung braucht eine breite öffentliche Debatte – mit den Kulturschaffenden, den Einrichtungen und der Stadtgesellschaft. Kultur schafft Vertrauen. Kulturpolitik sollte das auch tun.
Doch Vertrauen entsteht nicht, wenn man erst entscheidet und anschließend darüber sprechen will, wie die Entscheidung gemeint war. Vertrauen entsteht, wenn man zuerst spricht – und dann entscheidet.
Deshalb halten wir eine Vertagung dieser Vorlage für notwendig. Unsere Fraktion wird der Reform in der vorliegenden Form nicht zustimmen.