Offener Brief: Versammlungsfreiheit in Zeiten von Corona

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn,

in den letzten Wochen haben unsere Fraktion immer wieder Berichte erreicht, dass Polizei und Ordnungsdienst mit repressiven Maßnahmen gegen Bürger*innen vorgehen, die zum Beispiel im Rahmen der Kampagne #leavenoonebehind gegen die Flüchtlingspolitik der EU und für eine Evakuierung der Geflüchtetenlager in Moria demonstrieren, obwohl diese die allgemeinen Maßgaben zum Gesundheitsschutz wie Abstandsgebote einhielten. Auch wenn wir großes Verständnis für die aktuellen Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben, haftet diesen der Mangel an, dass sie Art. 8 GG also das Grundrecht auf freie Versammlungen vermeintlich pauschal außer Kraft setzen.

Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 15.04.2020 festgestellt, dass die Verordnungen der Landesregierungen zur Bekämpfung des Corona-Virus kein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören, enthalten. Eine pauschale Ablehnung verletzt daher die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit, zu deren Schutz generell ein Entscheidungsspielraum besteht.

Auch aus unserer Sicht ist es nicht zulässig, die Wahrnehmung des Versammlungsrechtes mit privaten Veranstaltungen, Festen oder Partys zu vergleichen. Beispielsweise durch den anstehenden 1. Mai und die andauernde katastrophale Geflüchtetenpolitik von EU und Bundesregierung ist auch in naher Zukunft mit weiteren öffentlichen Protesten zu rechnen. Wir erwarten von der Stadt Freiburg und der Polizei, dass öffentliche Proteste und politische Meinungsäußerungen, die die allgemeinen Corona-Schutzmaßnahmen beachten, nicht verhindert, bedrängt oder strafrechtlich verfolgt werden. Auch in Zeiten von Corona muss das Versammlungsrecht gewahrt werden. Versammlungen müssen jeweils daraufhin überprüft werden, ob von ihnen tatsächlich epidemiologische Gefahren ausgehen und für sie im Zweifelsfall Auflagen zum Gesundheitsschutz erlassen werden. Eine generelle Untersagung ist nicht akzeptabel.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Moos – Fraktionsvorsitzender
Monika Stein – Fraktionsvorsitzende
Irene Vogel – stellv. Fraktionsvorsitzende
Felix Beuter – Stadtrat
Gregor Molberg – Stadtrat
Lina Wiemer-Cialowicz – Stadträtin