Angelinas Rede zum Jahresbericht der Wohnungslosenhilfe

Portrait Angelina Flaig

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Anwesenden,

der Jahresbericht der Wohnungslosenhilfe ist eine gute Gelegenheit, um über Obdachlosigkeit zu sprechen, über ein Thema, das leider in der Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung findet und trotz aller Dringlichkeit häufig unterzugehen droht. Kein Wunder, denn Armut und Bedürftigkeit haben – so die leider weitverbreitete Annahme – in den Innenstädten und im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit nichts verloren. Die Kehrwende vor einiger Zeit, die Polizeiverordnung strikter anzuwenden, hatte scheinbar Erfolg: laut dem Bericht gab es eine Abnahme obdachloser Personen in der Innenstadt, jedoch eine Zunahme außerhalb dieses Bereichs. Diese Entwicklung ist jedoch problematisch vor allem für die Betroffenen, die in der Innenstadt sicherer und für Hilfs- und Unterstützungsangebote besser ansprechbar sind. Außerdem geraten die Problemlagen der Betroffenen so aus dem Blickfeld – der Bericht der Wohnungslosenhilfe allerdings zeigt, dass diese keinesfalls weniger geworden sind.

Wohnungslosigkeit gab es schon immer, allerdings wurde sie durch die wohnungspolitischen Entwicklungen verschärft. Wohnen ist aufgrund der explodierenden Mietpreise für viele Menschen nicht mehr bezahlbar. So verwundert es kaum, dass von den vielen Zwangsräumungen ein großer Teil auf Mietrückstände zurückgeht.

Doch auch Eigenbedarfskündigungen sind ein riesiges Problem. Auf dem überhitzten Wohnungsmarkt eine neue Wohnung zu finden, führt leider für viele Menschen in die Wohnungslosigkeit. Diese Probleme hat die kommunale Wohnungsnotfallhilfe zum Glück erkannt und hat die Prävention und die Anschlussversorgung in eigenem Wohnraum als Zielsetzung festgelegt. Vielen Dank für das große Engagement, meistens rechtzeitig zu intervenieren und Wohnungslosigkeit so zu verhindern.

Und doch gelingt es nicht immer. Wer einmal wohnungslos geschweige denn obdachlos ist, hat es schwer, eine neue Bleibe außerhalb des Hilfesystems – sprich außerhalb von Wohnheimen – zu finden. Dies liegt auch daran, dass außer der Freiburger Stadtbau kein Wohnungsunternehmen bereit ist, diese Menschen mit Wohnraum zu versorgen – auch nicht die Genossenschaften, die sich in ihren öffentlichen Darstellungen immer wieder als soziale Vermieter inszenieren. Als Stadt ist es deswegen unsere Aufgabe, bei Grundstückvergaben viel stärker darauf zu drängen, Wohnraum für wohnungslose Personen zu schaffen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem Personenkreis nicht nur um Einzelpersonen, sondern häufig um ganze Familien mit minderjährigen Kindern handelt.

Der aktuelle Bericht der Wohnungslosenhilfe ist frustrierend und besorgniserregend. Diese Feststellung sollte keinesfalls das individuelle Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schmälern. Das Problem ist ein strukturelles: Die Kapazitäten in der Notfallunterbringung sind bei weitem nicht ausreichend – nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie. Die Unterbringung vieler Menschen auf engstem Raum war schon zuvor ein Problem, doch stößt es in Zeiten der Kontaktbeschränkungen vollends an ihre Grenzen. Nun wäre ein geeigneter Zeitpunkt, sich neue Konzepte zu überlegen, um wohnungslosen Menschen eine sichere, menschenwürdige und nicht gesundheitsgefährdende Unterbringung zu gewährleisten.  

Wir haben schon mehrfach angeregt, dass gerade in diesen Zeiten, verstärkt Hotels und Ferienwohnungen angemietet werden sollten, um die Betroffenen vor einer möglichen Infizierung mit dem Corona-Virus zu schützen. Mehrbettzimmer sind derzeit keinesfalls eine adäquate Unterbringungsoption.

Außerdem stehen wir vor einer großen Herausforderung: Zwangsräumungen wurden infolge von Corona ausgesetzt. Das ist zwar gut, aber löst das zugrundeliegende Problem nicht. Zumal viele Menschen derzeit mit gravierenden Einnahmeausfällen konfrontiert sind. Mietrückstände werden größer und damit sind nach Wiederaufnahme von Zwangsräumungen mehr Menschen gefährdet, ihre Wohnungen zu verlieren. Mit dieser Problematik sollten wir uns jetzt beschäftigen und Konzepte entwickeln, um es nicht soweit kommen zu lassen.

Die hohen Zahlen der von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffenen Menschen sind im buchstäblichen Sinne ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen und sie nicht der Profitgier der Wohnungsgesellschaften zum Opfer fallen zu lassen.