Housing First umsetzen!

Die unterzeichnenden Fraktionen beantragen in der Drucksache DS G-22/152 folgende Ergänzungen:

  1. die Verwaltung wird beauftragt, die Drucksache gemäß folgenden Antragspunkten zu überarbeiten und erneut in den entsprechenden Fachausschüssen zu beraten und dem Gemeinderat zum Beschluss vorzulegen.
  2. Im Jahr 2023 wird eine Fachtagung zum Thema „Housing First und andere erfolgversprechende Strategien zur Überwindung von Wohnungslosigkeit“ durchgeführt.
  3. Zur Entwicklung einer nachhaltigen Strategie zur Vermeidung der Unterbringung in Wohnheimen wird eine Fachkommission, bestehend aus Vertreter:innen der öffentlichen und nichtöffentlichen Träger und Mitarbeitenden der Wohnungslosenhilfe sowie ehemaliger und aktuell von Wohnungslosigkeit Betroffener zeitnah einberufen.
  4. Die Freiburger Stadtbau GmbH wird beauftragt, jährlich mindestens 10 ausreichend große Wohnungen zur Wohnversorgung von durch Wohnungslosigkeit betroffenen oder bedrohten Familien zur Verfügung zu stellen.

Begründung:
Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der – den interfraktionellen Antrag zur Drucksache G 21/183 unterzeichnenden Fraktionen – hat diese Vorlage in keiner Weise ihren Kernauftrag, nämlich die Entwicklung einer Strategie in obig bezeichneter Angelegenheit erfüllt. Stattdessen wird ausgesagt, der derzeitige Planungshorizont in der kommunalen Wohnungsnotfallhilfe in Freiburg liege bei ca. 24 Monaten und sei in seiner Planbarkeit begrenzt.

Es bleibt im Unklaren, wie viele Menschen in Freiburg aktuell von Wohnungslosigkeit bedroht und betroffenen sind. Die Zahlen der Stichtagserhebung der Liga der Wohlfahrtverbände von 2021 sprechen von 939 Hilfesuchenden im Stadtkreis Freiburg. Es geht auch nicht aus der Vorlage hervor, ob und wie die Stadt Freiburg an der Bundes-Stichtagserhebung am 31.01.2022 teilgenommen hat. Ebenso wenig werden die Daten der seit einigen Wochen vorliegenden Studie zur verdeckten Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit vorgelegt.
Es fehlen in dieser Vorlage wichtige Zielgruppen und die hierzu notwendigen Informationen und Differenzierungen. Das gilt insbesondere für folgende Personengruppen:
Junge Menschen und heranwachsende LSBTIQ–Personen. Die Dalia-Studie geht davon aus, dass mindestens 7,4% der obdachlosen oder wohnungslosen Personen lesbisch, schwul, trans oder queer sind; Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen und derzeit in Deutschland ohne Papiere leben.

Die Verwaltung war beauftragt worden, zu prüfen, ob eine Erhöhung der Quote der Wohnversorgung von 10 auf 15 % der freiwerdenden Wohnungen für wohnungslose Menschen bei der Freiburger Stadtbau GmbH (FSB) möglich ist. Als Antwort wird auf die Rückmeldung durch die FSB verwiesen, wonach eine verbindliche Vereinbarung auf eine höhere Quote nicht möglich sei. Es wird nicht klar, wie viele Wohnungswechsel es bei der FSB im letzten Jahr stattgefunden haben. Ebenso wenig wie viele Wohnungen dort aktuell leer stehen. Es wird auch nicht erwähnt, dass es laut Gesellschaftsvertrag zu den wichtigsten Kernaufgaben der Freiburger Stadtbau GmbH explizit gehört, Menschen mit geringem Einkommen und Obdachlose wohn zu versorgen.

Es werden auch keine konkreten Hinweise angeboten, wie viele sonstige Wohnbaugesellschaften und -genossenschaft im letzten Jahr in Freiburg ganz konkret aufgefordert wurden, entsprechende Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Es fehlen auch die Angaben, wie viele Wohnungen überhaupt im letzten Jahr in Freiburg mit öffentlichen Geldern gefördert wurden, für die auch Belegungsoptionen bestanden.

Familien stehen nach Art. 6 Abs. 2 GG unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Es kann nicht sein, dass in Freiburg Familien, also Personengemeinschaften mit Kindern über einen längeren Zeitraum hinweg, in Notunterkünften für Wohnungslose untergebracht werden. Nach § 1 SGB VIII ist es aber zuvörderst eine Aufgabe der Kommune, alles dafür zu tun, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

In der Vorlage wird darauf verwiesen, dass in der Dezernentenkonferenz am 10.07.2018 beschlossen wurde, innerhalb von fünf Jahren 200 Kleinstwohnungen (Wohnungen bis 35 m²) zu bauen. Was ist daraus geworden? Wie viele Wohnungen sind davon inzwischen gebaut und mit ehemals wohnungslosen Menschen belegt worden?

Das international anerkannte und erfolgreiche Fachkonzept „Housing first“ wird in dieser Vorlage zwar kurz umrissen aber keineswegs sach- und fachgerecht gewürdigt. Viele Studien gerade aus dem europäischen Ausland verweisen auf überdurchschnittlich erfolgreiche Erfahrungen mit der unmittelbaren Bereitstellung eigener Mietwohnungen für ehedem Wohnungslose. 80 bis 90% dieser früher obdachlosen Menschen lebten noch nach 2 Jahren zur Zufriedenheit aller in ihren Mietwohnungen. Es wäre zur Beratung hilfreich gewesen, hierzu mehr zu erfahren. Aus den vorgenannten Gründen halten die unterzeichnenden Fraktionen es für angebracht, diese Vorlage von der Tagesordnung zu nehmen. Diese Darlegungen machen deutlich, dass es angesichts der vielen offenen Fragen und unzulänglichen Antworten nicht angebracht erscheint, am 18.10.22 im Gemeinderat diese Vorlage abschließend zu beraten. Die im Antrag unter den Punkten 2 – 4 vorgetragenen konstruktiven Handlungsmaßnahmen sind angemessen und machbar.

Die unterzeichnenden Stadträt:innen:

Prof. Dr. Günter Rausch, Stadtrat, EINE STADT FÜR ALLE
Felix Beuter, Stadtrat, EINE STADT FÜR ALLE
Irene Vogel, Stellv. Fraktionsvorsitzende, EINE STADT FÜR ALLE

Simon Sumbert, Fraktionsvorsitzender, JUPI
Ramon Kathrein, Stadtrat, JUPI