Rechtlich, politisch und demokratisch fragwürdig – Protest gegen Absetzung des TOPs „Rehabilitierung der Berufsverbotsbetroffenen“

Rechtlich, politisch und demokratisch fragwürdig – Absetzung des TOPs „Rehabilitierung der Betroffenen von Berufsverboten“ überschreitet Kompetenz der Verwaltung und schränkt demokratische Rechte des Gemeinderats massiv ein

Die Fraktion „Eine Stadt für alle“ hält Absetzung des Tagesordnungspunktes „Entschließung des Freiburger Gemeinderats zum sog. „Radikalenerlass“ bzw. zu den „Berufsverboten“ in Baden-Württemberg (interfraktioneller Antrag nach § 34 Gemeindeordnung vom 10.10.2023)“ für nicht akzeptabel. Die vorgetragenen Argumente sind weder politisch noch rechtlich nachvollziehbar.

Der Oberbürgermeister bzw die Verwaltungsspitze begründeten in der HFA-Sitzung die Absetzung mit zwingenden rechtlichen Gründen, obwohl das uns vorgelegte Schreiben des Innenministeriums diesbezüglich zu KEINEM eindeutigen Ergebnis kommt. Die Beschlusskompetenz des Gemeinderats zu diesem Themenkomplex wird in dem Schreiben nicht eindeutig negiert. Bezüglich des Ortsbezugs sind u.E. die EINDEUTIG vorhandene Bezüge bisher nicht ausreichend gewürdigt und in die Betrachtung mit einbezogen worden.

Für die Absetzung dieses TOPs kann der Oberbürgermeister den erforderlichen „zwingenden Zweifel“ bezüglich der Rechtmäßigkeit eines solches Beschlusses jedenfalls nicht eindeutig anführen. Von daher muss die vom Gemeinderat mehrheitlich beschlossene Aufsetzung für die Sitzung des Gemeinderates am 30. 1. 2024 u.E. weiter gelten und einer demokratischen Entscheidung zugeführt werden.

Politisch wäre ein Beschluss des Gemeinderats ein wichtiges Zeichen gewesen gegenüber den Betroffenen und hier lebenden Bürger:innen. Betroffen waren aktive Demokrat:innen in Schulen und in der Lehramtsausbildung, bei der Post und im Fernmeldeamt sowie in der Universität. Die zahlreichen Berufsverbote veränderten das politische Klima in der Stadt nachhaltig und mit erheblichen Auswirkungen.

Bis über die Grenzen Deutschlands hinweg wurden einzelne Schicksale Freiburger Bürger:innen, beispielsweise des Briefträgers Werner Siebler oder des Sonderschullehrers Kurt Faller bekannt. Auch die verweigerte Einbürgerung von Alt-Stadtrat Hendrijk Guzzoni und in der Folge seine Nichteinstellung als Lehrer wurde international beobachtet und kritisiert. Auch die frühere Stadträtin Ulrike Schubert war Berufsverbotsbetroffene.

Nach Absetzung dieses Tagesordnungspunktes, ohne Widerstand aus den anderen Fraktionen des Gemeinderats, ist zu befürchten, dass wichtige Stellungnahmen des Gemeinderates, wie beispielsweise zuletzt zu Fragen zum Lieferkettengesetz, einem kommunalen Wahlrecht für alle, der Menschenrechtssituation im Iran, der Tarifbindung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge oder auch die unter OB Böhme gefasste Erklärung Freiburgs zur „atomwaffenfreien Zone“, so nicht mehr stattfinden können, bzw. unter im Vorgriff wirkende Vorbehalte gestellt werden.

Gerade die Kommunen, die nah an den Themen der Bevölkerung sind, müssen sich grundsätzlich auch mit Fragen, die ihre Bürger:innen bewegen und betreffen, befassen können und eine Positionierung auch gegenüber den gesetzgebenden Gremien in Bund und Land zum Ausdruck bringen können. Unsere Fraktion möchte sich dieses wichtige Recht nicht nehmen lassen. Die Fraktion wird daher rechtliche Schritte prüfen und ggf. auch beim Regierungspräsidium eine Beschwerde einlegen.

Vor dem Hintergrund nicht vorliegender zwingender Gründe, der faktischen und historischen Betroffenheit von Einwohner:innen der Stadt Freiburg und der grundsätzlichen Betroffenheit kommunaler Beamt:innen und Beschäftigter des kommunalen öffentlichen Dienstes in der Vergangenheit, drängen wir auf eine Umsetzung der in der Gemeinderatsitzung vom 12.12.2023 demokratisch und mehrheitlich getroffenen Entscheidung, das Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderats zu setzen und darüber demokratisch zu beschließen.

Wir haben überdies den Eindruck, dass die mehrfache Verschiebung des Tagesordnungspunktes, während andere Gemeinden (u.a. Tübingen, Heidelberg, Mannheim) dazu Beschlüsse gefasst haben, am Ende nicht zu einer Klärung geführt hat, sondern den Gemeinderat in dieser Frage, aber auch in seinem Recht sich auch grundsätzlich zu Fragen zu äußern, die die Einwohner:innen der Stadt aufgrund von übergeordneten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen betreffen, vor allem verunsichert und demokratisch schwächt.

HINTERGRUND – Begründung für einen Ortsbezug

Wir sehen eine Ortsbezug eindeutig gegeben, weil:

1. Bürger:innen, die von dem Erlass betroffen waren, und die aktuell in Freiburg leben, sich mit der Forderung an den Gemeinderat gewandt hatten, sich bei der Landesregierung für ihre Rehabilitation einzusetzen, auch gemäß eines Urteils des Europäische Menschenrechtsgerichtshofs. Dieses hatte in der Praxis ein Verstoß gegen die Art. 10 und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit) festgestellt.

2. Der damalige Erlass bezieht sich auf Beamt:innen und Beschäftigte des öffentlichen Dienst und wurde in der Folge auch auf die Beamt:innen und Beschäftigten des Öffentlichen Diensts der Kommunen angewendet.

3. Die Berufsverbote fallen in die Zeit des Ministerpräsidenten Filbinger, der eine besondere Beziehung zu Freiburg hatte. Freiburg als Universitätsstadt war ein Schwerpunkt der Berufsverbotspraxis aufgrund der relativen Stärke vieler linker Gruppen. Sowohl die Berufsverbote als auch viele Prozesse und Kampagnen gegen die Entlassung von Lehrern bestimmten in der ersten Hälfte der 70er Jahre stark die politische Sphäre der Stadt Freiburg. Die Bespitzelung und Gesinnungsüberprüfung von Linken, teilweise durch Beamte, die noch in der Nazizeit gedient hatten (u.a. auch der Ministerpräsident Filbinger selber), trugen in der Sache zu einem unerträglichen gesellschaftlichen Klima bei, dass bis heute nachwirkt und auch demokratisches Engagement verhindert.