„Bildungsgerechtigkeit herstellen – Bildungswege begleiten“ – Modellprojekt im Stadtteil Weingarten

Antrag zum Doppelhaushalt – Sonstige Fraktionsanträge OZ 500 mit Sperrvermerk:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn,

im Kontext der Beratungen des aktuellen Schulberichtes und der – im dreijährigen Turnus stattfindenden -Sozialberichterstattung hat unsere Fraktion regelmäßig und eindringlich darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, neue Wege auszuloten, um Chancengleichheit für alle Freiburger Kinder und Jugendliche zu gewährleisten. Unverändert sind die schlechtesten Bildungsquoten zu verzeichnen in den Stadtteilen Weingarten, Haslach, Brühl-Beurbarung und Landwasser. Wobei Weingarten in vielerlei Hinsicht besonders hervorsticht: als kinderreichster Stadtteil, mit der höchsten Anzahl benachteiligter Kinder,  mit der größten Grundschule Freiburgs, mit dem höchsten Migrationsanteil, dem Fehlen einer weiterführenden Schule und damit auch dem Fehlen eines kulturellen Mittelpunkts und fördernden Wohn- und Lebensumfeldes. Viel zu viele Kinder und Jugendlichen werden immer noch „zurückzulassen“

Deshalb beantragen wir am Beispiel Weingarten ein Modellprojekt „Bildungsgerechtigkeit herstellen – Bildungswege begleiten“, um eine Förderstruktur für Familien mit Kindern ab deren Geburt aufzubauen. Dabei sollen die vorhandenen Ressourcen und Angebote aufgegriffen und optimiert werden. Ein Netzwerk soll diese Angebote und erforderliche neue Maßnahmen bündeln und zu einem ganzheitlichen Bildungs- und Gesundheitskonzept zusammenführen. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf einer systematischen, koordinierten Begleitung und Beratung der Eltern sowie der Schüler:innen über die Dauer ihrer gesamten Schullaufbahn liegen.

Nachfolgend die inhaltlichen Eckpunkte des Konzepts für das Modellprojekts „Bildungsgerechtigkeit herstellen – Bildungswege begleiten“ im Stadtteil Weingarten und die Summen im Einzelnen:

  1. Für die Durchführung einer Fachtagung Ende 2023 zum Auftakt der Netzwerkarbeit und Konzeptentwicklung für den Stadtteil Weingarten 20.000 € einzustellen.
  2. In Ergänzung vorhandener Frühe-Hilfen-Angebote in Freiburg ist die Einrichtung eines Beratungs- und Unterstützungsangebotes, das einzelnen Familien eine ganzheitliche Begleitung durch aufsuchende Fachleute von der Schwangerschaft zunächst bis zum Ende der Grundschulzeit bietet, zu schaffen. Dabei geht es um den Aufbau eines langfristigen Beratungsangebotes, das sowohl die Förderung der Eltern-Kind-Beziehungen aber auch weitergehende Hilfen zur Bewältigung des Alltages beinhaltet. Dabei soll u.a. auch eine Beratung zu Gesundheit und Entwicklung im Säuglings- und Kleinkindalter erfolgen. Es wird hier auch auf die enge Zusammenarbeit mit einschlägigen Fachleuten aus dem Gesundheitswesen geachtet. Hierzu gehören auch die Begleitung weiterer Entwicklungen durch Facheinrichtungen wie Kindertagesstätten sowie ggf. einschlägiger Förderprogramme sowie der Übergang in die Grundschule. Hierfür sind im Haushalt 190.000,- € für 2 VZÄ Soz.päd./Heilpädagogen/Gesundheit ab 9/23 bis 12/24 bereitzustellen.
  3. Da zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar ist, ob das bewährte Programm „Lernen mit Rückenwind“ durch das Land fortgeführt werden wird, beantragen wir vorsorglich, im Haushalt 170.000 € mit bereitzustellen für 2 VZÄ VZ ab 9/23 – 12/24. Nach Ansicht aller beteiligten Fachkräfte und vieler Eltern hat sich dieses überaus bewährt. 
  4. Es ist zweifelsfrei zielführend und notwendig, so früh wie möglich die Familien und deren Kinder zu fördern und zu unterstützen. In Freiburg wird u.a. durch eine vielfach bewährte Schulkind-begleitung an Grundschulen ein hilfreiches Angebot vorgehalten. In dem von uns angeregten Pilotprojekt Weingarten sollte darüber hinausgehend ganz konkret für – in ihrer Schulentwicklung besonders gefährdete Kinder – nicht nur ein gelingender Übergang auf eine weiterführende Schule individuell vorbereitet werden, sondern auch der weitere Schulbesuch nachhaltig begleitet werden. Hierbei könnte in Analogie zu Schulbegleiter:innen, wie sie gesetzlich im Bereich von Kindern mit Beeinträchtigungen vorgesehen sind, eine systematische individuelle Schulbegleitung („Schullotsen“) vorgehalten werden. Die bisherigen Schulverläufe, gerade der Kinder, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, zeigen, dass es einerseits nur Wenigen gelingt, beispielsweise gymnasiale Schulen zu besuchen, es andererseits dann aber so ist, dass davon wiederum nur ein kleiner Teil es erfolgreich etwa bis zur Hochschulreife schafft. Ausdrücklich verweisen wir darauf, dass es Sinn und Zweck einer solchen individuellen Schulbegleitung ist, keineswegs den gymnasialen Schulweg zu präferieren. Vielmehr muss es darum gehen, die Wünsche und Ziele der Kinder und ihrer Eltern in den Mittelpunkt zu stellen. Die Statistiken zeigen, dass es auch in Freiburg noch immer so ist, dass in allen Schulsystemen die Kinder aus benachteiligten Milieus am ehesten zu den Schulabbrechern zählen. Für dieses Projekt der individuellen Schulbegleitung (Schullotsen) beantragen wir 180.000 € für 2 VZÄ Soz.päd./Erziehungs-wissenschaft ab 9/23 bis 12/24.
  5. In Verantwortung und Koordination der Dez. II und III ist die Schaffung, Einberufung und Moderation eines interdisziplinär zusammengesetzten Koordinationskreises vorzusehen, der die vernetzte Angebotsstruktur begleitet.
  6. Angesichts der exemplarischen Bedeutung eines solchen Pilotprojektes ist eine wissenschaftliche Begleitung erforderlich, um die Ergebnisse zu evaluieren und die Übertragbarkeit auf weitere Stadtteile mit hohem Anteil sozialer Benachteiligung sicherzustellen. Es böte sich geradezu an, hierzu mit der Evangelischen Hochschule zusammen zu arbeiten, die hier seit Jahren bundesweit besonders profiliert ist. Hierfür beantragen wir 40.000 € anzusetzen.

Die Fraktion „Eine Stadt für Alle“ beantragt somit für die Einrichtung des Modellprojektes „Bildungsgerechtigkeit herstellen – Bildungswege begleiten“ für die Haushaltsjahre 2023/24 insgesamt 600.000 €. Die Verwaltung wird beauftragt, das Konzept für das Modellprojekt unter Einbeziehung des interdisziplinär zusammengesetzten Koordinationskreises zu erarbeiten und in die gemeinderätlichen Gremien zur Beschlussfassung und Aufhebung des Sperrvermerks einzubringen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Günter Rausch – Stadtrat

Emriye Gül – Stadträtin

Irene Vogel – Stv. Fraktionsvorsitzende