Felix’ Rede zur Förderung der Psychosozialen Beratungs- und ambulanten Behandlungsstellen für Suchtgefährdete und -kranke

Herr Oberbürgermeister, liebe Anwesende, mit der heutigen Vorlage kommen wir zum Ende eines Prozesses, der weit länger zurückreicht, als ich und viele andere von uns diesem Gremium angehören. Und der Grundgedanke dieses Prozesses, die historisch gewachsenen und teilweise sehr unterschiedlichen Finanzierungen der Träger der Suchthilfe in einem transparenten System zu vereinheitlichen, ist im Sinne der Fairness so naheliegend wie auch richtig. Aber die Route, die die Stadt auf diesem Weg gewählt hat, führt aus unserer Sicht leider auf einen Irrweg.

Zunächst aber zum Positiven: Es ist ein großer Fortschritt, dass im Rahmen der Umgestaltung ein einheitliches Berichtswesen mit gemeinsamen Standards für die Dokumentation der Arbeit geschaffen wurde. Zwar stößt schon hier die tatsächliche Vergleichbarkeit konkreter Leistungen durch die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Therapiekonzepte schnell an ihre Grenzen, aber trotzdem könnte dies eine gute Grundlage sein, um die Angebotslandschaft gemeinsam zu evaluieren und weiterzuentwickeln.

Es ist uns aber völlig unverständlich warum die Verwaltung glaubt, hier auch die Knute zu benötigen und durch die Kopplung der Zuschusshöhen an rein numerische Leistungsmengen und -segmente zumindest implizit damit drohen zu können, bestimmte Entwicklungen bei den Trägern finanziell abstrafen zu können. Immer frei nach dem Motto „Kooperation ist schön und gut, aber bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“.

Dabei steht für alle hier betroffenen Träger und Einrichtungen fest, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine andere Maxime kennen außer der, ihren Klientinnen und Klienten so gut und schnell wie möglich die nötige Hilfe zukommen zu lassen. Alle in Frage stehenden fachpolitischen Ziele könnten auch ohne die Kopplung der Zuschüsse an Leistungen gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden.

Eine leistungsbezogene Finanzierung kann der Arbeit mit Menschen nicht gerecht werden und zwingt letztendlich soziale Träger in die Situation, hilfesuchende Menschen unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, ja geradezu als Ware betrachten zu müssen.

Wenn der eine einen Stuhl hergestellt hat und die andere in der gleichen Zeit zwei, mag man in einer kapitalistisch organisierten Produktion von mir aus noch argumentieren, dass letztere mehr geleistet hat. Diese Fixierung auf Stückzahlen auf den sozialen Bereich zu übertragen, wo jeder Fall so individuell ist wie der jeweilige hilfesuchende Mensch, ist aber fatal.

In den verschiedenen Diskussionen über das Thema wurde uns immer wieder versichert, dass die zugrunde gelegten Standards für die Leistungssegmente „State of the art“ seien. Das mag ich gerne glauben, aber sie sind eben auch nur das: Standards. Und als solche müssen sie dann eben von suchtkranken Menschen ausgehen, die ebenfalls „State of the art“ sind.

Wie sollen sich denn Mitarbeitende verhalten, wenn ein Leistungssegment auf dem Papier abgearbeitet ist, aber sie erkennen, dass das Hilfeziel nicht erreicht wurde? Oder wie gehen sie mit einem obdachlosen Menschen um, der auf der Suche nach Hilfe zu ihnen kommt, von dem sie aber wissen, dass die Arbeit mit ihm oder ihr deutlich mehr Aufwand bedeuten wird als in anderen Fällen? Sollen diese Personen dann weggeschickt werden?
Natürlich wissen wir alle, dass das zum Glück nicht passiert, aber die Kosten für den weiteren Aufwand müssen eben die Mitarbeitenden tragen, die dann einen immer größeren Berg an Überstunden vor sich herschieben, seit Jahren auf ihre TVÖD-Stufen verzichten oder andere Formen der Selbstausbeutung betreiben.

Und was passiert, wenn bei einem Träger die Fallzahlen in einem Jahr mal ein paar Prozent niedriger ausfallen? Durch den Wegfall eines entsprechenden Teiles der Finanzierung würden gerade kleine Träger schnell vor der Frage stehen, ob sie ihre Angestellten noch voll bezahlen können. Sollen sie dann einen Teil ihrer Mitarbeitenden entlassen?

Um solche Fälle verhindern zu können und Planungssicherheit zu haben, ohne ständig unter – teilweise existenziellem – Druck zu stehen, müssen die Träger mit einer ausreichenden Basisfinanzierung ausgestattet sein.
Da eine komplette Abkehr von der leistungsbezogenen Finanzierung hier nicht mehrheitsfähig ist, musste es für uns darum gehen, die Sockelfinanzierung pro Fachkraftstelle deutlich zu erhöhen und damit den Anteil der leistungsbezogenen Finanzierung zu drücken. Daher freue ich mich sehr, dass wir uns am Ende einiger interfraktioneller Verhandlungsrunden auf den Antrag einigen konnten, diese Sockelfinanzierung um 50% zu erhöhen. Die Breite Unterstützung für diesen Antrag ist nicht nur aufgrund der bloßen Mehrheitsfrage erfreulich, sondern auch, weil es die Wertschätzung für die Arbeit der Träger der Suchthilfe zeigt.

Natürlich wird diese Erhöhung Geld kosten. Aber glauben Sie mir, dieses ist gut investiert. Suchtkrankheiten tauchen nur in den seltensten Fällen als Einzelproblem auf, sondern führen für die Betroffenen zu allen möglichen Folgeschwierigkeiten, sei es, dass sie durch ihre Krankheit den Arbeitsplatz verlieren, sozial isoliert werden oder depressive Störungen entwickeln. Auch wissen wir, dass Sucht und Gewalt enge miteinander verknüpft sind. Und das auch in beide Richtungen, einerseits führt Gewalt oftmals zu Sucht, andererseits führt Sucht aber auch zu Gewalt. Jeden Euro, den wir in der Suchthilfe sparen, bezahlen wirr später doppelt und dreifach in anderen Bereichen, um die Probleme zu bekämpfen, die sich aus der Suchtkrankheit ergeben.

Und das betrifft auch nicht nur die suchtkranken Personen selbst, sondern oft sind auch Partnerinnen und Partner, andere Angehörige und insbesondere Kinder schwer von den Folgen der Suchterkrankung einer verwandten Person betroffen. Mit ihrer Arbeit entlasten die Träger der Suchthilfe somit alle möglichen anderen Stellen der Sozial- und Bildungssysteme und dafür müssen wir sie auch mit den nötigen Mitteln ausstatten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Gehalten in der Sitzung des Gemeiderats vom 10.12.2019