Günters Rede zur Implementierung von Quartiersarbeit im Metzgergrün

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn wir in diesen Tagen mit wachen Sinnen durch’s Metzgergrün gehen, staunen wir über die Vielfalt an Blumen, Blüten und Vogelstimmen. Wir sehen in den Gärten Menschen werkeln oder hinterm Haus bei Kaffee und Kuchen plauschen. Sie sind offen für Gespräche und erzählen gerne von vergangenen Zeiten und am liebsten von ihren Gärten. Einer sprach hier von seinem „zweiten Wohnzimmer“. Ein anderer Mann schwärmte von dies und das, vor allem von seiner Kindheit hier vor über 60 Jahren. Und eine alte Frau sagte nicht ohne Stolz: „Von uns hat der Putin noch keinen Rubel gekriegt, mir heize nämlich noch mit Holz!“ Eine Nachbarin hole ihr täglich das Brennmaterial aus dem Keller. Hier kennt jeder jeden. Hier werden alle so angenommen, wie sie sind. Nachbarschaften müssen nicht erst inszeniert werden, sie funktionieren einfach!  Die Leute sind hier zu Hause oder um es mit dem inzwischen etwas belasteten Begriff zu sagen: Das ist ihre „Heimat“.

Augenscheinlich fühlten sich die Menschen hier sehr wohl und eigentlich hätte dieses Quartier nicht nur eine Erhaltungssatzung verdient, sondern einen Denkmalschutz und eine behutsame gelingende Sanierung, wie in den Knopfhäusle.

Sie wissen alle, dass und wie es anders gekommen ist. In meinen Augen war dies eine Kette von – aus heutiger Sicht – Fehleinschätzungen und Missgeschicke, so dass hier im Quartier, egal mit wem man spricht, die Stimmung „auf die da oben“ oder „da drinnen“, zu meist sehr schwierig ist. Einige haben sich bereits mit dem Wegzug arrangiert, sie schauen nach vorne. Manche freuen sich auf neue Wohnungen. Andere wollen einfach weg, nix wie weg und bloß nicht sehen müssen, wie all das, was sie liebten und ihnen wichtig war, zerstört wird. Andere hoffen noch immer auf ein Wunder und dass die Mehrheiten hier im Gemeinderat ein Einsehen haben und dieses Quartier retten. Und wieder andere, wollen hier so lange wohnen bleiben, wie es irgendwie geht und dazu beitragen, dass das Zusammenleben im Quartier wieder und weiter funktioniert.

Wären da nicht die Verletzungen, die im letzten Frühjahr entstanden sind. Ohne Salz in diese Wunden streuen zu wollen: Da ist ganz viel Vertrauen zerstört worden, Vertrauen in die Politik und auch in die Stadtverwaltung. Getoppt wurde das Ganze dann noch, als der Träger der Quartiersarbeit das Handtuch warf und den Bewohner:innen auch noch den Schwarzen Peter zuschob. Seither diese Leute weitgehend alleine gelassen.

Nur durch bürgerschaftliches Engagement, vor allem einzelner Bewohner:innen, konnten Überreste der ehemals funktionierenden Gemeinschaft notdürftig zusammengehalten werden. –  Leider fehlt in der vorliegenden Drucksache jegliche Wertschätzung für dieses Engagement ebenso wie eine offene Selbstkritik und das Eingestehen von Fehlern städtischerseits. …

Machen wir hier und heute einen Strich drunter. Mit diesem interfraktionellen Antrag, dem sich gerne weitere Gemeinderatsfraktionen anschließen sollten, wollen wir ein kräftiges Startsignal nach vorne setzen.

Mit der Schaffung einer neuen, leider nur einer halben Quartiersarbeitsstelle, für die Dauer der Baumaßnahmen und der Installation eines neuen Forums für eine dialogische Zusammenarbeit mit den Bewohner:innen und den Mieterbeirät:innen auf Augenhöhe werden neue Weichen für die Zukunft gestellt. Dieses Gremium sollte nun zeitnah im Laufe der nächsten vier Wochen einberufen werden, um gemeinsam mit allen Akteur:innen darüber zu reden, wie künftig die Zusammenarbeit mit dem Träger gelingen kann, wie diese neue „Quartiersarbeit plus“ zu gestalten ist und auch auf welche Weise sich Bewohner:innen und Bewerber:innen vorab kennenlernen können.  

Wir haben im Quartier mit vielen Menschen gesprochen. Sie erwarten, dass sie rechtzeitig und umfänglich über alle geplanten Maßnahmen nicht nur informiert werden, sondern auch mitreden können. Sie wünschen sich zuverlässige Gesprächspartner:innen auf allen Ebenen. Vor allem aber eine Quartiersarbeit, die auf alle Menschen im Wohngebiet zugeht, in dem sie Klinken putzt, mit allen redet und gut zuhört. Sie wünschen sich eine Quartiersarbeit, die nicht wie ein verlängerter Arm der Verwaltung wirkt, sondern sie dabei unterstützt und berät, wenn sie ihre Interessen artikulieren und durchsetzen können. Wenn wir das heute hier mit großer Mehrheit beschließen, dann ist das mehr als ein Zeichen für einen Neuanfang im Quartier Metzgergrün, dann ist das auch ein Bekenntnis der Stadtgesellschaft im Sinne Willy Brandts, der vor rund 50 Jahren einmal davon sprach, „mehr Demokratie zu wagen!“ Vielleicht wagen wir es ja sogar noch weiter zu gehen, und doch noch einmal über diese Abrisspläne nachzudenken. Das wäre ein noch stärkeres Zeichen.

Vielen Dank.