Haushaltsrede unserer Fraktion

Freiburg steht mit seinen Problemen keineswegs alleine da:

Burkhard Jung, Präsident des Dt. Städtetages, 29.12.2020: “Wir müssen verhindern, dass in Zukunft in vielen Städten der Rotstift regiert und die Handlungsfähigkeit vieler Kommunen bei den Ausgaben und Investitionen massiv eingeschränkt wird.“

Oder der Deutsche Städte- und Gemeindebund am 24.02.2021:

„Corona-Krise: Rettungsschirm für Kommunalfinanzen 2021&2022 unverzichtbar“.

Ein Blick über den Tellerrand kann manchmal helfen, die Dinge richtig einzuordnen. Unser Schuldenstand wird am 31.12.22 – so die Berechnungen der Kämmerei – 348 Mio. € betragen. Das sind pro Kopf 1.513 €. Laut statistischem Landesamt war bereits zum 31.12.19 die Pro-Kopf-Verschuldung in ganz Baden-Württemberg bei 2.869 €, also deutlich höher. Auch wenn man die Verschuldung der städtischen Gesellschaften und Eigenbetriebe hinzurechnet ist die Haushaltslage in anderen Städten wie Mannheim, Heidelberg, Heilbronn oder Pforzheim deutlich schwieriger.

Unsere Haushaltslage ist schwierig, aber sie war vor 2 Jahren auch nicht einfach, und wir sind doch gut durch die Jahre 2019/2020 gekommen. Wenig ist sicher in der aktuellen Situation, vor allem wissen wir nicht, ob und in welcher Höhe vom Bund nochmals Entlastung kommt – Stichwort Bundestagswahlen – aber eines ist sicher:

Bei dem vorliegenden Entwurf handelt es sich um eine Momentaufnahme. Angesichts der wieder anziehenden Konjunktur, der vollen Auftragsbücher nicht nur bei der Industrie, auch im Handwerk, bestehen begründete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einnahmesituation der Stadt deutlich besser entwickeln wird, als wir jetzt annehmen.

Wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen, dass arme Menschen unter den Folgen der Corona Pandemie besonders leiden. Es sind dieselben, die in besonderer Weise auf ausreichende staatliche Leistungen angewiesen sind. Deshalb ist es grundfalsch, im sozialen Bereich zu sparen. Hier gilt einmal mehr: „Falsch gespart kommt richtig teuer“. Wir hoffen deshalb auf Zustimmung zu unseren Sozialanträgen.

Auch die Erhöhung der Gewerbesteuer um rund 3,5% im Jahr 2022 stellen wir noch einmal zur Abstimmung. Nicht nur deshalb, weil wir die Mehreinnahmen von rund 7 Mio. € in 2022 und Folgejahren gut brauchen können, sondern weil dies zur sozialen Balance in der Stadt beiträgt. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: der vom Lockdown gebeutelte Einzelhändler oder Gastronom wird von der von uns beantragten Erhöhung nicht tangiert. Es betrifft all jene Unternehmen, die gut bis sehr gut durch die Krise kommen und die ihren Anteil an der Bewältigung der durch Corona bedingten finanziellen Probleme der Stadt leisten sollen.

Steuern sind kein verlorenes Geld: sie sind der Beitrag dafür, dass wir die gesamte Infrastruktur der Stadt am Leben halten, was Voraussetzung auch jedes Wirtschaftens ist.

Keine Alternative dazu ist es, das Haushaltsdefizit auf Kosten der Mieter:innen auszugleichen, wie es einige im Haus beantragen. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass die Stadtbau 300 Wohnungen im Jahr bauen soll, die Hälfte im geförderten Wohnbau. Der neue Mietspiegel hat uns gezeigt, zu welchen Mietsprüngen die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt treibt. Den eingeschlagenen Kurs einer Forcierung des Mietwohnungsbaus, insbesondere des öffentlich geförderten, zu torpedieren ist der eigentliche Skandal der Anträge zum Haushalt.

Dasselbe gilt für die Anträge, die vom Gemeinderat beschlossene aktive Liegenschaftspolitik wieder aufzugeben. Eigentlich unfassbar, nachdem städtische Grundstücke jahrzehntelang auf den Markt geworfen wurden mit dem Ergebnis, dass die Stadt selbst spekulative Preise bei Grundstücken und Mieten angeheizt hat und immer weniger  im Portfolio hat, um eigene städtebauliche Konzepte umzusetzen.

Die von der Verwaltung uns vorgelegte Drucksache zur Aufhebung bzw. Abänderung bereits vom Gemeinderat beschlossener Projekte stieß bei uns von Anfang an auf Ablehnung. Wie oft wurde erfolgslos beantragt, das Außenbecken im Westbad neu zu bauen, bis es endlich eine Gemeinderatsmehrheit beschloss? Wie lange wurde die Erweiterung und Sanierung der Max-Weber-Schule beschlossen, bis es der Gemeinderat endlich auf die Tagesordnung setzte. Und wie viel Jahre hat es gedauert, bis wir die dynamische Erhöhung der Personalausgaben auch im Kulturbereich beschlossen haben? All das soll jetzt Makulatur sein?

Eigentlich selbstverständlich ist es für uns, dass die Verwaltung am vom Gemeinderat beschlossenen NS-Dokumentationszentrum – wenn auch zeitlich gestreckt – festhält. Im neuen Amtsblatt fordert die AfD einmal mehr die Streichung der dafür eingestellten Haushaltsmittel bzw. Verpflichtungs-ermächtigung, für die AfD ist dies rausgeschmissenes Geld für ein „Luxusprojekt“.  Es ist folgerichtig, dass die AfD ein Projekt verhindern will, das dokumentiert, wohin Rassismus, Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung als minderwertig, Demokratiefeindlichkeit und Militarismus führen. Umso wichtiger, dass das NS-Dokuzentrum bereits jetzt im öffentlichen Leben zunehmend präsent wird.

Der vorliegende Haushalt erscheint in Teilen fast so bleiern, wie diese Zeit selbst. Es fällt wahrlich schwer, sich mit ihm zufrieden zu geben. Anstatt notwendiger Weiterentwicklung bildet er doch in zentralen Bereichen lediglich den Status Quo ab, obwohl die gesellschaftspolitischen Herausforderungen neben Klima- und Verkehrswende auch geradezu schreien nach mehr sozialer und Bildungsgerechtigkeit und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viel höhere und viel schnellere Investitionen in Schulsanierungen, Neubauten und Erweiterungen sind so notwendig wie der qualitative und quantitative Ausbau von Kita- und Schulkind-Betreuungsplätzen. Unser Ziel der Gebührenfreiheit für den Elementarbereich rückt zudem in weitere Ferne.

Wir wollen uns jedoch nicht damit abfinden, dass die Sanierung der Max-Weber-Berufsschule trotz unerträglicher Zustände wieder hinten angestellt werden soll, keine 37.000 Euro für den Start der Schulsozialarbeit an SBBZ’s aufgebracht werden können oder die in 10 Jahren aufgebauten Kooperationen für Sport- und soziale Angebote  benachteiligter Kinder und Jugendlichen verloren gehen sollen, weil Uni-Sport und die STEP-Stiftung sich nicht mehr zur alleinigen Förderung in der Lage sehen, aber von der Stadt kein einziger Euro kommen soll.

Mit der faktischen Kürzung der Personalkostenbudgets der städtischen Ämter und der Zuschussempfängerinnen können wir uns überhaupt nicht abfinden. Zynisch zu verlangen, das Personal solle seine eigene Tariferhöhung durch Wiederbesetzungssperren, Arbeitsverdichtung und Abbau von Stellenanteilen auf lange Sicht kompensieren. Es ist vorhersehbar, dass tarifungebundene freie Träger gar keine Erhöhung bezahlen, andere werden erwägen, Tarifverträge zu kündigen. Und das, obwohl sich die Verantwortung so vieler Beschäftigten für ihre Klientel durch die Pandemie deutlich erhöht hat und der Stress im Verlauf von nunmehr 14 Monaten mit Corona weiter stetig ansteigt. Im Gegensatz zu den Pflegekräften in Kliniken und Pflegeheimen wurden sie gar nicht sichtbar und beklatscht, belohnt werden sie jedoch alle nicht für ihre an und über die persönlichen Grenzen gehenden Leistungen. Bewusst möchte ich sie deshalb alle benennen. Sie arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe, der sozialpädagogischen Familienhilfe, der Alten-, der Behinderten-, der Sucht- und Wohnungslosenhilfe und der frühkindlichen Bildung  – sowohl in der öffentlichen Verwaltung wie bei den freien Trägern. Damit wird auch deutlich, wie ignorant und spalterisch ein Antrag ist, der einen finanziellen Ausgleich der Tarifsteigerungen ausschließlich für die Suchthilfe fordert. Alle Care-Arbeitenden haben mehr verdient.

Mit Besorgnis sehen wir deshalb einer weiteren Überlastung dieser Berufsgruppen und Ehrenamtlichen entgegen, die mit einem flächendeckenden Sozialabbau durch die Hintertür einhergehen wird. Gerade jetzt müssten einkommensarme Singles und Familien in Solo-Selbständigkeit, Niedriglohngruppen und Transferbezug besonders gestärkt werden, weil diese Krise sie wirtschaftlich wie psychisch am härtesten trifft. Stattdessen werden sie im Stich gelassen und die soziale Ungleichheit verschärft sich.

Zur Kultur: Wahrlich – ohne sie ist’s still. Das erfahren wir alle schmerzlich, umso mehr diejenigen, die davon nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern in Kunst und Kultur auch ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben. Dass im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen der Kulturbetrieb über die lange Zeit komplett ausgeschaltet wurde, wird der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Kultur nicht gerecht. Umso mehr sehen wir auch unsere kommunale Kulturpolitik in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass in diesem Ausnahmezustand keine Künstler:innen oder noch so kleine Kulturinitiativen und -einrichtungen verloren gehen. In keinem anderen Bereich haben wir so unzählig viele Gespräch geführt und Anträge gestellt. Wir sind froh, dass sie im Wesentlichen auch eine Mehrheit fanden. Neuanträge von spannenden  Kulturprojekten, die jahrelang ohne öffentliche Finanzierung auskamen, waren leider chancenlos. Aber mit unseren erfolgreichen Anträgen zur Finanzierung von Festivals in allen Sparten, sollen im Kultursommer 21 und 22 möglichst viele Kulturschaffenden wieder sichtbar und hörbar werden und niederschwellige und breite kulturelle Teilhabe  aller Bevölkerungsschichten ermöglichen.

In Vorbereitung auf die heutige Sitzung stieß ich auf eine Notiz, die ich mir nach einem der vielen Fraktionsgespräche gemacht habe: „Der Haushalt wird ne harte Nuss.“ Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Leider. Das liegt in erster Linie an den Auswirkungen der Corona Pandemie, aber auch an der konservativen „Maß und Mitte-Haltung“ ebenso wie am Motto der Grünen „Alles fürs Klima“. Denn im Umkehrschluss bedeutet es ja „Weniger für Soziales“. Die Logik, dass es „seriös gegenfinanzierte Maßnahmen gegen Klimawandel und für die Verkehrswende“ brauche, ist konservative Politik mit grünem Anstrich! Warum?

Viele im Gemeinderat geben vor, jugendpolitische Themen umsetzen zu wollen und generationengerechte Entscheidungen zu treffen. Doch de facto tun sie oft das Gegenteil. Die junge und engagierte Zivilgesellschaft geht ja nicht auf die Straße mit der Forderung, Schulden abzubauen, sondern mehr in Klimaschutz UND soziale Gerechtigkeit zu investieren. Wenn wir im Gemeinderat dahin kommen, Schulden als eine Art Nebeneffekt kommunalen Handelns zu verstehen, wären wir schon weiter. Denn Schulden, gerade in Zeiten einer Pandemie, sind ja in erster Linie ein Zeichen dafür, dass mehr Ausgaben für die Wirtschaft gemacht wurden, als über Steuern aus der Wirtschaft wieder herausgezogen werden. Wenn wir als Kommune aber sparen, um Schulden abzubauen, hat in der Konsequenz das Handwerksunternehmen keine Einnahmen, weil wir die Schulsanierung wieder geschoben haben, oder die Sozialarbeiterin hat weniger Einkommen, weil wir die Tariferhöhung aussetzen. Wenn wir die Verschuldung begrenzen wollen, vergrößern wir in der Konsequenz wirtschaftliche Schieflagen. Sparen ist daher aus unserer Sicht die falsche Antwort, gerade in einer Krise.

Dennoch ist vieles gut in diesem Haushalt, weil wir deutliche Fortschritte beim Klimaschutz und der Verkehrswende verzeichnen können: Energieeffizienz in Gebäuden, Blockheizkraftwerke und Photovoltaik auf Schuldächern. Dazu die erfolgreichen Anträge zu Haltestellen in Randlagen und Mehrausgaben für den Fuß- und Radverkehr. Das sind alles sinnvolle und notwendige Maßnahmen. Aber der Preis für die Mehrheiten bei Klima und Verkehr sind fehlende Mehrheiten und große Fehlstellen im Sozialbereich. Wir halten das für fahrlässig gegenüber unserer Stadtgesellschaft.

Nicht fahrlässig, aber dennoch schwierig finden wir die Haltung des Oberbürgermeisters zu unseren Vorschlägen zum Vollzugsdienst. Die Badische Zeitung titelte letzte Woche: „Freiburgs OB und Polizeipräsident kritisieren Sparvorschläge des Gemeinderats.“ Sparvorschläge zu kritisieren ist sonst eigentlich die Aufgabe unserer Fraktion. Jetzt kann man das Ganze unter dem Motto „interessante Pressearbeit“ abspeichern. Aber für die Menschen, die bei den Freien Trägern arbeiten, muss das doch wie Hohn klingen. Der Oberbürgermeister stellt sich nicht hinter sie, aber stattdessen vor die Polizei.

Die Folgen von Corona sind aus finanzieller Sicht aber nicht die einzige Herausforderung in den nächsten Jahren. Auch die Innenstadt wird uns beschäftigen. Wir werden viel Geld ausgeben müssen, um wirkliche Rettungsversuche zu unternehmen. Da helfen Werbekampagnen und schöne Blumenkästen wenig.

Wie stimmt nun unsere Fraktion ab? Die Linke Liste wird diesem Haushalt mit großen Bauchschmerzen zustimmen. Trotz der Fehlstellen im Sozialen waren letztlich die Erfolge bei der Wohnungspolitik und das Festhalten am NS-Dokuzentrum ausschlaggebend. Die Grüne Alternative und die Unabhängigen Frauen hingegen können einem Haushalt, der die Tariferhöhungen nicht an die Freien Träger weitergibt und die Personalbudgets der städtischen Ämter um diese Summe reduziert, nicht zustimmen – daher werden wir uns enthalten. Für unsere gesamte Fraktion gilt aber, um es, leicht abgewandelt, mit den Worten des Oberbürgermeisters zu sagen: „Wir halten die Kürzungen im Haushalt für ein gesamtstädtisches Eigentor.“

Bevor ich zum Schluss komme, möchten wir der Verwaltung ein großes Dankeschön für die geleistete Arbeit und die gute Zusammenarbeit aussprechen, ganz generell, und besonders in den letzten Wochen.

Und für uns als Gemeinderat möchte ich Folgendes für die Zukunft formulieren: Ohne Schulden wird es weder eine attraktive Innenstadt, noch eine gut aufgestellte soziale Infrastruktur, noch Klimaschutz geben können. Denn solange wir Geld als endliche Ressource betrachten, werden wir weder unsere Stadt, noch unseren Planeten retten können. Dafür ist eine Reform der Finanzpolitik gerade für die Kommunen dringend notwendig, damit wir unseren Fokus weg von einem ausgeglichenen Ergebnishaushalt, hin auf die wichtigen Themen richten können. Lassen Sie uns daher, uns untereinander verständigen, was es heißt, nachhaltig zu haushalten. Wenn wir die Nachhaltigkeitsziele erfüllen wollen, kann die Antwort nur lauten, dass wir investieren müssen, in Klimaschutz, Verkehrswende, Kultur und Soziales.

Lina Wiemer-Cialowicz, Michael Moos, Irene Vogel

[gehalten im Gemeinderat am 27.04.2021]