Irenes Rede zum Thema „Kontaktstelle Frau und Beruf“

Portrait Irene Vogel

Im Namen meiner Fraktion EINE STADT FÜR ALLE bedanke ich mich bei Regina Genssler und dem gesamten Team für ihre großen Bemühungen um ein erfolgreiches Erwerbsleben von Frauen. Wie der Bericht zeigt, ist ihre Arbeit sehr facettenreich und ihre Statistiken belegen, dass ihre Arbeit große Wirkung zeigt – aber dass sie dafür auch künftig Unterstützung brauchen. Das Land Baden-Württemberg hat deshalb gut daran getan, die Kontaktstellen über 2015 hinaus weiterzuführen und auch weiterhin finanziell mit 50 % zu fördern. Denn die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erschweren es Frauen nach wie vor, dauerhaft einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachzugehen, die auch zu einer auskömmlichen Rente führt. Die Kontaktstelle trägt viel dazu bei, dass es dennoch immer mehr Frauen gelingt, sich dauerhaft am Arbeitsmarkt zu positionieren. Davon profitiert auch der Staat durch höhere Steuereinnahmen und sinkende Sozialleistungen und die Wirtschaft durch mehr Arbeitskräfte und vielfältigere Kompetenzen.
Obwohl sich vermehrt junge Paare mit Kindern mühsam auf den Weg gemacht haben, diese althergebrachte Rollenverteilung zu durchbrechen, sind die unbezahlten Tätigkeiten für die Familie, kurz Care-Arbeit genannt, nach wie vor zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt.

Und nochmals: Die Ursachen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung zu Lasten der Frauen liegen in den unguten und benachteiligenden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – der fehlenden 30 Stunden-Woche während der Familienphase, den systemrelevanten, aber schlechter bezahlten Berufen, den fehlenden Ganztagsschulen und -Kitas sowie flächendeckend nicht vorhandenen oder zu teuren haushaltsnahen Diensten. Frauen, die dennoch konsequent einer einkommenssichernden Erwerbsarbeit nachgehen, leiden in der Familienphase entweder jahrelang unter Mehrfachbelastungen und zunehmend mehr Burnouts, können darüber hinaus nicht oder nur schwer ehrenamtlich tätig sein, oder sie entscheiden sich, auf Kinder zu verzichten. Das alles kann unsere Gesellschaft nicht wirklich wollen. Corona zeigt einmal mehr, es braucht radikale Änderungen, nicht nur in dieser Frage – und diese Änderungen sind mit einem Neoliberalismus nicht zu haben. Er hat ganz offensichtlich abgewirtschaftet. Bund, Länder und die Städte sind gefordert, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Die Pandemie hat uns jetzt sehr deutlich vor Augen geführt, wie rasant es zu einer Re-Traditionalisierung der Aufgabenverteilung dieser Care-Arbeit kommen kann. Diese führte zu noch mehr Einschränkung der bezahlten Erwerbsarbeit von Frauen als bisher. Oder wie das Beispiel der älteren Frauen zeigt, die als Küchen-Hilfskräfte in Schul- und Kita-Küchen arbeiteten und während Corona gekündigt wurden, verlieren wieder die Frauen eher den Job, weil sie in Teilzeit arbeiten.

Die Corona-Krisenbewältigung gipfelte schließlich darin, bestehende Rechtsansprüche auf Kinderbetreuung zu übergehen und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung oder Pflege wurde dadurch in einer Weise privatisiert, die viele von uns nicht mehr für möglich gehalten hatten. Ich will damit keineswegs die lockdown Maßnahmen als solches in Frage stellen, außer den Corona-Leugner_innen hat das wohl auch niemand getan. Fragwürdig ist allerdings deren Dauer, die zu übermäßigen Belastungen der Familien und hier insbesondere der Familien-Frauen führten. Bei weiteren Pandemie-Wellen kann dies keine adäquate Gegenstrategie mehr sein. Das lassen die Familien nicht ein 2. Mal mit sich machen. Wenn die Politik ihre Glaubwürdigkeit behalten will, müssen zeitnah alternative Konzepte der Kinderbetreuung entwickelt werden, die für viel mehr Kinder, als nur derjenigen systemrelevant Beschäftigter ein ernsthaftes Angebot bietet. Das wird unweigerlich teuer, denn es läuft auf viel mehr feste Kleingruppen in viel mehr festen Räumen hinaus. Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Frau BMin Stuchlik wir bitten Sie eindringlich dies im Dt. Städtetag entsprechend zu thematisieren, denn das können wir als Stadt finanziell nicht leisten, dafür braucht es eine einstimmige Forderung des Städtetages an das Land und an die Bundesregierung.

Mittelfristig aber brauchen wir – mit oder ohne Corona – Konzepte, die beide Elternteile einbeziehen, wie z.B. das Modell der 30 Stunden Vollzeit für Eltern, die Verankerung der Möglichkeit von Homeoffice, die leistungsgerechte Bezahlung von bezahlter Care-Arbeit, die Berücksichtigung unbezahlter Care-Arbeit in der Erwerbsbiografie oder ein bedingungsloses Grundeinkommen. Der Staat wie die freie Wirtschaft sind gefordert, so oder so!

Mein Fazit: Am Umgang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird sich zeigen, ob wir zukunftsfest aus der Krise kommen.