Kita-Planung deckt die realen Bedarfe nicht – Dabei beginnt Bildungsgerechtigkeit genau hier

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Anwesende,

„Kinder – unsere Zukunft!“ war der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2021 überschrieben. Der neueste Bericht von 2023 verweist auf die „Kinder, deren Rechte auf ein gutes Aufwachsen nicht oder kaum berücksichtigt werden. Das ist ein Problem für die Kinder selbst, aber auch für die Zukunft unserer Gesellschaft.“ 1,3 Millionen Kids sind demnach in Deutschland von Kinderarmut betroffen.

Uns macht das nicht nur betroffen, sondern auch wütend. Was können diese Kinder dafür? Es sind, wie meine Kollegin Emriye Gül gestern zu recht sagte, unsere Kinder. Es geht um unsere Kinder und um die Zukunft von uns allen und um unsere Stadt.

Heute hätten wir die Chance, mit der Kindertagesstättenbedarfsplanung – was für ein Wort – an einer Stelle für etliche Kinder ein wenig die Weichen in eine gelingendere Zukunft zu stellen.

Leider begnügt sich dieser so genannte Plan, der eher einem Bericht gleicht, im Wesentlichen mit der Fortschreibung einer vielfach unbefriedigenden Ist-Situation. Keine Frage, unsere Stadt leistet viel für unsere Kitas. Vor allem aber leisten die dort Beschäftigten oftmals heroisches, unter vielfach schwierigen Bedingungen. Ihnen allen gilt unser Dank und der viel zitierte „Respekt“! Merci liebe Erziehende! Womit ich auch alle Eltern eingeschlossen habe!

Wie frustrierend muss es für diese Menschen sein, wenn sie auf Seite 54 lesen: „Aktuell gibt es für Kinder im Vorschulalter kein ausreichendes Platzangebot. Das gilt auch für Plätze mit Ganztagesangebot.“ Was hier sehr lapidar klingt, stellt sich für viele Eltern, die mitunter rund um die Uhr malochen müssen, um z.B. noch ihre Miete zahlen zu können und geradezu darauf angewiesen sind, ihre Kids ganztags unterzubringen, sehr dramatisch dar!

Es geht mindestens um 750 Kinder, die nicht mit einem Ganztagesplatz versorgt werden können.

Wozu haben wir eigentlich seit über zehn Jahren einen Rechtsanspruch auf die Betreuung der Kinder? Wozu machen wir Gesetze, wenn die Menschen sie nicht auch einfordern können? Unserer Fraktion macht das große Sorgen, auch angesichts des Aufwindes für rechte Rattenfänger. Eine wehrhafte Demokratie muss vor allem durch verlässliche Sozial- und Bildungsangebote überzeugen. 

Die Druckvorlage verweist darauf, dass es noch schlimmer kommen könnte. So heißt es z.B. im Hinblick auf die Kinder mit besonderem Förderbedarf, „dass diese Zahl eher eine Untergrenze darstellt und langfristig ein deutlich höherer Anteil von Doppelbelegungen erforderlich sein wird“. Und an anderer Stelle heißt es, die Nachfrage werde „Mit Blick auf die demografische Entwicklung und den zu erwartenden Arbeitskräftemangel …im Vergleich zur aktuellen Nachfrage voraussichtlich weiter ansteigen.“

Ist das wirklich vertrauensfördernd, wenn es in der Ausbauplanung heißt, dass in  Weingarten die  AWO am FFC-Gelände zum 01.02.2025  20 U 3 – Plätze und 40 Ü 3 – Plätze schaffe, aber im Kindertagesstättenbedarfsplan von 2019 diese bereits zum 1.1. 2021 versprochen wurden. Im übrigen habe ich noch nicht mitbekommen, dass dort bereits Bauarbeiten im Gange wären …

Apropos Weingarten: Geradezu krass sind die Versorgungs-Diskrepanzen zwischen Quartieren, wo Menschen mit eher kleinem Geldbeutel wohnen, und jenen, wo Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen leben. So liegt die Versorgungsquote für Kinder unter 3 Jahren ausgerechnet in Weingarten, Haslach oder Mooswald-Ost zwischen 32 und 42 Prozent, während sie für das Vauban 110 % beträgt.

Absurd, wenn wir gestern in einer gemeinsamen Ausschusssitzung des KJHA, ASW und MiG zwei Stunden lang über Maßnahmen zur Überwindung der Bildungsbenachteiligung für Quartiere wie Weingarten debattieren und heute zur Kenntnis nehmen sollen, dass ausgerechnet im U 3 – Bereich gerade hier eine eklatante Unterversorgung vorliegt. Insbesondere bei den Kindern unter drei Jahren wären „frühe Hilfen“ und eine frühe professionelle Begleitung und Förderung ein wichtiger Hebel für mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.

An dieser Stelle wird auch überdeutlich, dass dieser Drucksache etwas Wesentliches fehlt: Klare ambitionierte Ziele und Strategien zur Gewährleistung des Rechtsanspruches für Kinderbetreuung für alle Kinder in unserer Stadt. Bildung für Alle, haben wir in der letzten Sitzung gefordert. Heute fordern wir vor allem „Mehr frühe Bildung für Alle“!

Unsere Kritik gilt auch der Methodik und Systematik dieses Berichtes. Versorgungsquoten, die sich an Elternbefragungen von 2019 orientieren und nicht an den aktuellen Wünschen und Bedürfnissen der Kinder und Eltern gehen notwendig an der Realität vorbei. Kein Mensch käme z.B. auf die Idee, die Zahl der notwendigen Grundschulplätze auf der Basis einer, noch dazu fünf Jahre alten, Elternbefragung zu errechnen. Auch die frühe Bildung zählt zu den Kinderrechten, die übrigens laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung in das Grundgesetz aufgenommen werden sollten. Hier, wie in der gesamten Bildungspolitik, hinken Bund und Land seit Jahren den realen Anforderungen und Bedürfnissen mit ihren Programmen und Projekten wie die Alte Fasnet hinterher.

Ein Kindertagesstättenbedarfsplan müsste aufzeigen, wie und mit welchen Schritten dieser Rechtsanspruch in Freiburg endlich eingelöst werden kann.

Und ein Gremienlauf, der implizierte, dass wir notwendige Änderungsänträge von der intensiven gestrigen gemeinsamen Sitzung von Kinder- und Jugendhilfeausschuss, Schul- und Bildungsausschuss und Migrationsausschuss auf heute hätten stellen müssen, ist nicht offensichtlich realitätsfern.

Noch einmal zum Schluss: Es geht um unsere Kinder, aber auch um die Zukunft unserer Stadt. Und die Kinder von heute werden schon bald auf diesen Stühlen hier sitzen und sich fragen: Wie konnten die damals nur so lange zusehen und zustimmen?

Wir können jedenfalls dieser Vorlage beim besten Willen nicht zustimmen. 

Vielen Dank