Sehr geehrter Herr Oberbürgermeisterin,
werte Anwesende,
seit 1996 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Für Kinder unter 3 Jahren immerhin auch schon zehn Jahre.
Viele Gründe mögen den Gesetzgeber hierfür motiviert haben. Für unsere Fraktion sind soziale Gerechtigkeit, gleiche Bildungschancen und umfängliche Unterstützung der Eltern von elementarer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht für uns dabei das „Kindeswohl“ bzw. deren Entwicklung zu einer selbstbestimmten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Je früher die professionelle Unterstützung einsetzt, desto wahrscheinlicher und zielführender zeigen sich die Wirkungen.
Bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Kitaplätze sind letztlich für unsere gesamte Gesellschaft von nachhaltiger Bedeutung. Wenn wir allenthalben über Fachkräftemangel klagen, dann spielen neben bezahlbaren Wohnungen nicht selten auch qualitativ gute, sozialräumlich passende und finanziell gesicherte Kitaplätze eine wichtige Rolle.
Umso alarmierender ist es, wenn unlängst die Bertelsmann-Stiftung, die ja nicht gerade als linkslastig gilt, kritisierte, dass in Deutschland rund 384.000 Kita-Plätze fehlen würden. In einer Gesamtschau auf die Lage in Deutschlands Kitas stellen sie gar mit krassen Worten fest, wir stünden kurz vor einem „Kollaps unseres Kita-Systems“! Sie weisen darauf hin, dass Bund und die Länder weitaus größere finanzielle und strukturelle Unterstützung bieten müssten.
So weit, so schlecht. Vor diesem Hintergrund haben wir mit großer Wachsamkeit den vorgelegten Bedarfsplan gelesen. Um es vorneweg zu sagen, Freiburg steht im Baden-Württemberg-Vergleich recht gut da! Über Jahre hinweg wurden in unserer Stadt große Anstrengungen unternommen, das Angebot stetig auszubauen und qualitativ zu entwickeln. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt das bundesweite Ranking bei den U3-Plätzen, wo das superreiche Baden-Württemberg die „rote Laterne“ als Schlusslicht einnimmt. Wenn dann noch vor kurzem die grüne Kultusministerin Theresa Schopper laut überlegt, eine Absenkung der gesetzlich vorgesehenen Standards zu ermöglichen, wird das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Die Folge wird sein, dass die Eltern noch mehr belastet würden.
Wir fordern die Spitze der Verwaltung und den gesamten Gemeinderat auf, keinen Millimeter von den bewährten Qualitätsstandards abzuweichen. Desgleichen erinnern wir an unseren Haushaltsantrag, den unsäglichen Beschluss, die Verfügungszeiten um 10 % abzusenken, endlich wieder aufzuheben. Die Rahmenbedingungen für eine gute und auf Dauer belastbare pädagogische Arbeit in den Kitas stimmen schon lange nicht mehr. Auch unabhängige Expert_innen beobachten, dass die äußerst wichtige und insgesamt hervorragend geleistete Arbeit der Erzieher_innen, der Heil- und Sozialpädagog_innen in den Kitas immer belastender und der Beruf vielfach unattraktiver wird. Immer mehr Fachkräfte leiden unter der Arbeitsbelastung. Ausfälle durch Krankheiten, durch Arbeitszeitreduktionen oder gar durch völlige Ausstiege aus dem Beruf sind alarmierend.
Kindertagesstättenbedarfsplanung? Gehören solche Überlegungen nicht auch in diesen Bericht? Müssten zu alledem nicht Strategien, Ziele und Maßnahmen dargelegt werden, wie und wohin sich unsere Kitas entwickeln sollen und müssen? Drohen sonst nicht all die schönen Zahlen zur Glasperlenspielerei zu bekommen? Wir leben in einer Gesellschaft, die durch rasche und rasante Wandlungsprozesse gekennzeichnet ist. Hat sich z.B. die Lage der Familien und Kinder seit Corona nicht verändert? Ist es nicht wahrscheinlich, dass wir in unseren Planungen Fluchtbewegungen, die durch Kriege oder durch die Klimakatastrophe ausgelöst werden, fest miteinplanen müssen? Ist die forschungsgestützte Erkenntnis, dass 18 bis 22 % der Kinder im Vorschulalter klare diagnostizierbare Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, hinreichend berücksichtigt worden? Passen da noch die „alten“ Ziel- und Versorgungsquoten aus dem Jahr 2019? Inwieweit wurden die Elternvertretungen, insbesondere der Gesamtelternbeirat hier einbezogen?
Der KVJS, der hier auf Landesebene federführend ist, fordert für diese Planungsprozesse u.a. Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und deren Familien sowie eine Integration verschiedener Lebenslagen im Sozialraum. Dabei sollen beispielsweise die Familien mit Migrationshintergrund oder so genannte soziale Brennpunkte differenziert betrachtet werden. Von daher hätten wir es auch begrüßt, wenn der Migrant_innenbeirat ebenfalls zu Rate gezogen worden wäre.
Was sagt uns diese Vorlage dazu? Auf den ersten Blick wird dieser Fokus nicht sichtbar, obwohl es empirisch belegt ist, dass generell etwa doppelt so viele U3-Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund betreut werden, als bei solchen mit Migrationsgeschichte. Natürlich wirken sich hier auch unterschiedliche Lebensstile und Wertesysteme aus. Überhaupt stellt die Fachliteratur fest, dass die positiven Entwicklungen in den Kitaangeboten eher von ressourcenstärkeren Familien genutzt werden. Von daher wäre zu fragen, inwieweit niedrigschwellige Informationswege und -kanäle, die mehrsprachig angelegt sind und auf Netzwerke vor Ort aufbauen, erfolgversprechender sein könnten. Hier gibt es gute und notwendige Handlungsansätze.
Stattdessen müssen wir unkommentierte Zahlen zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise in Stadtteilen wie Haslach oder Weingarten für Kinder unter 3 Jahren unterdurchschnittlich wenige Plätze vorgehalten werden, während z.B. das Vauban bestens ausgestattet ist. Hier hätten wir uns mehr Transparenz gewünscht, auf welche Weise zeitnah eine deutlich bessere Versorgung erreicht werden soll. Wenn nun Weingarten eine Besserung durch den Bau eines neuen Kindergartens im Bereich des FFC-Fußballgeländes zum 01.01.2024 in Aussicht gestellt wird, so zeigt ein Blick ins Archiv, dass dieses Projekt bereits im Kindertagesstättenbedarfsplan von 2019 zum 01.01.2021 versprochen worden ist.
Zwei wesentliche Kernaussagen aus der DRUCKSACHE G-23/11 sollen am Schluss spotlichtartig die Dringlichkeit eines notwendigen Paradigmenwechsels in unserer Stadt beleuchten:
1. Das Ziel, mindestens 50 % der Plätze für Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt als Ganztagsplätze anzubieten, sei nur durch Verlust von bis zu 350 anderen Plätzen möglich, so dass es keine Alternativen gäbe.
2. Für 942 Kinder mit Wohnsitz in Freiburg und Aufnahmewunsch kann bis Ende 2023 kein Platz angeboten werden. Das heißt, fast 1.000 Kinder bleiben in Freiburg ohne einen Kitaplatz.
Eine kinder- und familienfreundliche Stadt, die Teilhabe und Inklusion ernstnimmt und für die Bildungsgerechtigkeit wichtig ist, kann das so nicht stehen lassen.
Kleine Kinder müssen in der Priorität unserer Stadt ganz oben stehen!