Linas Rede zum Jahresbericht der Wohnungsnotfallhilfe

Portrait Lina Wiemer-Cialowicz

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn, sehr geehrter Bürgermeister von Kirchbach, sehr geehrter Herr Gourdial, sehr geehrter Herr Heidemann, liebe Anwesenden, dass der Nobelpreis für Wirtschaft dieses Jahr an drei Personen ging, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen, wie Armut global verhindert werden kann, ist erstaunlich. Sind doch die gängigen Wirtschaftstheorien eher darauf ausgelegt, die, die schon reich sind, noch vermögender zu machen.

Der Nobelpreis rückt das Thema Armut jetzt endlich dorthin, wo sie längst angekommen ist: nämlich in die Mitte der Gesellschaft. Das gilt auch lokal für Freiburg. Die Armutsgefährungsquote steigt seit Jahren so kontinuierlich wie die Mieten. Für die Einkommensarmut gilt dasselbe.

Der heutigen Vorlage zur Wohnungsnotfallhilfe können wir zwar entnehmen, dass die Fallzahlen sich auf konstant hohem Niveau verfestigt haben, aber der Blick in die Zukunft muss uns alle noch mehr alarmieren: Gerade in Freiburg, wo die akute Wohnungsnot so groß ist, dass sogar Menschen mit gutem oder sogar hohem Einkommen kein Dach über dem Kopf finden. Und wir können beobachten, dass die Zahl von wohnungslosen Menschen auf unseren Straßen stetig steigt. Und immer mehr Menschen müssen Freiburg verlassen, weil die Stadt ihnen zu teuer geworden ist.

Und wenn man einmal auf der Straße gelandet ist, lebt es sich gefährlich: Erst vor knapp zwei Wochen zog sich ein wohnungsloser Mann, der im Sternwald sein Zelt aufgeschlagen hat, schwere Verbrennungen zu und musste notoperiert werden. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Fällen rechter Gewalt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegen wohnungslose Menschen bundesweit. So sind in den letzten 30 Jahren mindestens 523 Wohnungslose getötet worden. Allein in den letzten 5 Jahrenzählt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 79 Obdachlose, die durch Übergriffe starben. 2016 wurden mehr als 85 Prozent der knapp 1.500 gewalttätigen Verbrechen von rechten Tätern verübt.

Abseits vom Gewalt geprägten Alltag, ist die gesundheitliche Situation ebenso alarmierend: Das durchschnittliche Sterbealter wohnungsloser Menschen liegt nach interner Erhebung für Freiburg bei 50 Jahren.

Auch wenn immer wieder von sog. „Freiwilliger Obdachlosigkeit“ gesprochen wird, existiert diese nur, weil die Alternativen so beschämend sind. Das gilt leider auch für für unsere Stadt. Vor Kurzem konnten wir uns als Gemeinderat ein Bild von der Situation machen und verschiedene Wohnheime besichtigen. Was wir dort gesehen haben, hat uns alarmiert. So ist das Wohnheim in der Wonnhaldestraße eigentlich beinahe abbruchreich. Und dennoch müssen die Bewohner*innen dort für ein Einzelzimmer bis zu 440 € zahlen. Dort wohnen im übrigen auch Menschen, die einer geregelten Erwerbstätigkeit nachkommen und auf dem Wohnungsmarkt nichts anderes finden.

Die Verwaltung im Dezernat III tut was sie kann. Aber die Rahmenbedingungen reichen nicht aus. Und ein Blick in die Zukunft macht die Sache auch nicht besser: Schon jetzt fehlen mindestens 150 Wohnheimplätze; die Übernachtungszahlen in der Notübernachtung sind in den letzten 2 Jahren explodiert. Besserung ist nicht in Sicht.

Und obwohl das so ist, erwarten einige, auch aus unserem Gremium, dass Wohnungslose aus unserem Straßenbild verschwinden. Aber gerade in Freiburg ist das aufgrund der steigenden Mieten reine Illusion. Stattdessen wird es in den kommenden Jahren noch mehr Menschen geben, die ihre Wohnung verlieren. Dazu werden vermehrt Jugendliche, junge Erwachsene, Menschen im Rentenalter und Familien gehören.

Und was tun wir?

Wir vergessen oft, dass die Versorgung von Menschen in Wohnungsnot zu den Pflichtaufgaben unserer Kommune gehört.Wir wissen aber, dass demnächst das Mietmoratorium bei der Stadtbau auslaufen und die Stadthalle als Notunterkunft im Frühjahr 2020 geschlossen werden soll. Für Menschen die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, ist das ein Alarmsignal. Von Solidarität ist in unserer Stadtgesellschaft wenig zu spüren.

Wir als Gemeinderat müssen aber dringend Alternativen schaffen: Denn Armut und Wohnungslosigkeit sind eine Herausforderung, die uns in den nächsten Jahren über den Kopf wachsen wird.

Eine Lösung ist die dezentrale Wohnversorgung. Das heißt wir brauchen dringend Einfach- und Kleinstwohnungen, die im ganzen Stadtgebiet verteilt sind und in denen Wohnungslose dauerhaft ein Zuhause finden. Beschlossen hat der Gemeinderat das längst. Das ist 2 Jahre her. Von den 200 beschlossenen Wohnungen gibt es jedoch keine einzige. Das muss sich ändern. Dringend. Und da ist nicht nur das Dezernat III gefragt. Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum muss noch mehr ämterübergreifend angegangen werden. Erste Schritte sind in der Vorlage bereits zu erkennen. Das begrüßt meine Fraktion sehr.

Zum Schluss möchte ich ein Gedankenexperiment wagen: Stellen wir uns vor, wir bräuchten gar keine Wohnungsnotfallhilfe, weil es für Menschen in Wohnungsnot ausreichend Unterkunftsmöglichkeiten bei der FSB und den Genossenschaften gäbe. Das ist übrigens das, was in der Vorlage zum Schluss auch angedeutet wird. Das Geld was wir einsparen würden, könnten wir in neuen Wohnraum investieren. Den Finanzbürgermeister und auch den Baubürgermeister sollte das freuen. Dafür müssten wir jedoch die Prioritäten im Wohnungsbau deutlich verschieben, hin zu denen, die Wohnraum am dringendsten brauchen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Rede gehalten zu TOP5 „Jahresbericht der Wohnungsnotfallhilfe hier : Aktueller Sachstand und Weiterentwicklung“ der Gemeinderatssitzung vom 22.10.2019