Interfraktionelle Anfrage nach § 24 Abs. GemO – Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
mit Deutschlands Ratifizierung der Istanbul-Konvention / IK trat diese zum 1.2.2018 in Kraft. Damit sind Bund, Länder und Kommunen die völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, Mädchen und Frauen umfassend vor Gewalt und Frauen, Männer und queere Menschen vor häuslicher Gewalt zu bewahren. Als Gewalt gilt dabei nicht nur physische Gewalt, sondern auch geschlechtsspezifische Diskriminierung, Einschüchterung oder wirtschaftliche Ausbeutung. Vereinbarte Ziele sind die Verbesserung der strafrechtlichen Verfolgung von Gewalttaten, bedarfsgerechte Hilfeangebote für Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt sowie die umfassende Prävention vor derartiger Gewalt. Damit wird auch auf kommunaler Ebene ein Gesamtkonzept erforderlich, das kontinuierlich überprüft werden muss und wofür es die entsprechenden Strukturen braucht. Am 7.10.22 hat nun die Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) den ersten Grevio-Bericht zusammen mit der Stellungnahme der deutschen Regierung veröffentlicht.
Wir nehmen den Grevio-Bericht, der Fortschritte und Defizite in der Umsetzung der Istanbul-Konvention aufzeigt, zum Anlass für unsere nachfolgenden Fragen.
- Laut Istanbul-Konvention werden pro 10.000 Einwohner:innen je 1 Familienplatz im Frauen- und Kinderschutzhaus vorausgesetzt. Dies entspricht in Freiburg 2,58 Plätze/ 10.000. Wie viele Plätze sind tatsächlich vorhanden? Wie viele barrierefreie Plätze gibt es? Sind die entsprechenden Beratungsstellen barrierefrei?
- Mit dem aktuellen Doppelhaushalt wurde eine wichtige Lücke geschlossen und erstmals nach Jahren wieder ein Programm zur Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt finanziert und der Verein für Haftentlassene mit dessen Konzeption und Durchführung beauftragt. Wie viele der verurteilten Straftäter bekommen pro Jahr einen Platz? Wie hoch ist die Nachfrage? Ist die Täterarbeit opferschutzorientiert?
- Im Grevio-Bericht werden sicherheitsrelevante Regelungen für Kinder beim Sorge- und Umgangsrecht gewalttätiger Familienväter angemahnt. Wie wird in Freiburg diese Thematik behandelt? Ist sie Gegenstand von Fortbildungen im AKI?
- Im Kick-off am 26.10.22 zur weiteren Umsetzung der Istanbul-Konvention in Freiburg wurde problematisiert, dass eine gezielte Unterstützung und therapeutische Arbeit mit Kindern aus Familien mit häuslicher Gewalt weitgehend fehlt, nur spendenfinanziert und damit sehr unzureichend möglich ist. Sie beschränkt sich zudem weitestgehend auf Kinder im Frauen- und Kinderschutzhaus. Um zu verhindern, dass Kinder diese Gewaltverhältnisse als Erwachsene reproduzieren und später selbst zu Opfern bzw. Täter:innen werden, ist eine therapeutische Arbeit unabdingbar. Wie viele Kinder sind in Freiburg jährlich von strafrechtlich verfolgter häuslicher Gewalt betroffen und brauchen entsprechende Angebote? Wie hoch ist die Nachfrage nach diesen Angeboten? Wie hoch ist der finanzielle Bedarf, um entsprechende Angebote zu schaffen?
- Die meisten Tötungen von Frauen werden im häuslichen bzw. Nahbereich begangen. Gibt es eine Strategie für die Risikobewertung und Bedrohungsanalysen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen, um Drohungen und andere Warnsignale zu erfassen, die auf die Gefahr eines Femizids hindeuten? Wie funktioniert die institutionelle Zusammenarbeit bei der Identifizierung eines Hochrisikofalls in der Praxis?
- Die digitale Gewalt hat sich lt. Polizeistatistik für Freiburg in den letzten beiden Jahren verdreifacht, auch durch die sog. „Schulhof-Pornografie“. Zu deren Bekämpfung wäre der Aufbau eines Netzwerks Professioneller, die mit Jugendlichen arbeiten, eine dringende Maßnahme, wie es der 3. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung empfiehlt. Welche Schritte wurden oder werden diesbezüglich unternommen?
- Wie viele Fälle von Genitalverstümmelung sind seit Bestehen der Fachstelle in der Uni-Frauenklinik bekannt geworden? Gibt es seitens der Stadt Öffentlichkeitsarbeit an relevanten Stellen wie AMI, SoA, Wohnheime? Gibt es in diesen Stellen Öffentlichkeitsarbeit zur Strafbarkeit von Genitalverstümmelungen in Deutschland?
- Zwangsheirat: Gibt es Flyer oder andere Infos an Schulen für betroffene Mädchen, niederschwellige Angebote und / oder eine Ansprechpartnerin beim Jugendamt? Wie viele Inobhutnahmen gab es in den letzten drei Jahren in solchen Fällen?
- Wir verkennen nicht, dass Freiburg seit Jahrzehnten über ein differenziertes Beratungs- und Hilfeangebot für Opfer nach sexualisierter und häuslicher Gewalt verfügt – erkämpft durch die feministische und Frauenbewegung der 80er Jahre, weitgehend finanziert, z.T. auch als freiwillige Leistungen durch die Stadt. Eine sehr effiziente Präventionsmaßnahme zum Schutz vor Gewalt im öffentlichen Raum ist das seit 2020 weiterentwickelte FrauenNachtTaxi. Ein umfassendes Präventionskonzept, das die IK fordert, fehlt allerdings. Die Rote Bank ist eine gute Maßnahme, um die Öffentlichkeit gegen häusliche Gewalt in ihrem Umfeld zu sensibilisieren. Darüber hinaus sollten regelmäßige städtische Kampagnen à la „Augen auf Freiburg“ gegen sexualisierte und häusliche Gewalt entwickelt werden, bei der auch Männer und Jungen als Vorbild dienen und aktiv am Gewaltschutz mitarbeiten (Artikel 12 IK). Im Kick-off kam aus der Quartiersarbeit zudem der Wunsch nach einem Konzept für Schulungen von Nachbarschaften / Ansprechpersonen in den Quartieren und regelmäßige niederschwellige Beratungsangebote vor Ort.
Welche Stellen in der Verwaltung sind mit der Istanbul-Konvention befasst? Sind diese Stellen – insbesondere in Person von Frau Burkhardt und Frau Thomas – ausreichend ausgestattet, um zu gewährleisten, dass ein zielgerichtetes und passgenaues Präventionskonzept entwickelt werden kann, das folgende Aufgaben beinhaltet: die Koordinierung des Gewaltschutzes, die inhaltliche Bearbeitung der Öffentlichkeitsarbeit, von Kampagnen und Fortbildungen, sowie die Zusammenführung der institutionellen Datenerhebungen zu einer einheitlichen Datensammlung.
Wir vertrauen darauf, dass Sie den Bedarf, mehr und koordiniert gegen Gewalt zu tun, erkennen und der Verwaltung die zunehmende Problematik – nicht zuletzt durch Corona, Krieg und Krise in all ihrer Schärfe bewusst ist. Darum sollte zwingend eine intensivere Bearbeitung dieser Querschnittsaufgabe noch im Rahmen des kommenden Doppelhaushalts angegangen werden, weshalb wir um eine Beantwortung dieser umfangreichen Anfrage noch vor der Verabschiedung des Haushalts bitten.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Irene Vogel / Lina Wiemer-Cialowicz / Gregor Mohlberg – Eine Stadt für alle
Anke Wiedemann / Pia Maria Federer – Bündnis 90 / Die GRÜNEN
Julia Söhne / Karin Seebacher – SPD / Kulturliste
Simon Waldenspuhl / Sofie Kessl – JUPI